Manchmal bringen die Naturgesetze ganz unwahrscheinliche, ästhetische Formen hervor. Dazu gehören die Neumannschen Linien – und ganz besonders die Widmanstätten-Struktur. Beide Phänomene treten fast ausschließlich bei Meteoriten auf und lassen sich allenfalls mit enormem Aufwand künstlich reproduzieren. Wann immer Sie also einen Stein mit diesen außergewöhnlichen Oberflächen sehen, haben Sie es mit einem echten Eisenmeteoriten zu tun. Umgekehrt gilt diese Regel leider nicht: Wenn ein Eisenstück keine auffällige Oberflächenstruktur zeigt, wurde es womöglich nicht geätzt oder es handelt es sich um einen sogenannten Ataxiten.
Widmanstätten-Struktur
Eigentlich ist die geometrische Grundform dieser Erscheinung ein Oktaeder, also ein dreidimensionaler Körper, der aus acht Dreiecken gebildet sind. Eisenmeteoriten, die im Inneren eine Oktaeder-Struktur bilden, heißen folgerichtig Oktaedrite. Zerteilt man diese Oktaedrite, poliert die Schnittflächen und ätzt sie abschließend mit Salpetersäure, erscheint ein verwirrendes Muster aus lamellenartigen bis dreieckigen Figuren: Dies sind die durchgeschnittenen, auf zweidimensionale Umrisse reduzierten Oktaeder.
Verantwortlich für die Oktaeder-Struktur sind die Minerale Kamacit und Taenit, die beide aus den Metallen Eisen und Nickel bestehen, aber geometrisch unterschiedlich aufgebaut sind. Während das Taenit (auch Bandeisen genannt) bandartige Kristalle bildet, hat das Kamacit (Balkeneisen) einen tafelförmigen Aufbau. Gemeinsam formen sie die Oktaeder – allerdings nur unter ganz bestimmten Umweltbedingungen, wie man sie nur in den Kernen von Asteroiden und ähnlichen Himmelskörpern findet. Damit sich die Eisen-Nickel-Minerale regelmäßig anordnen können, müssen sie nämlich extrem langsam abkühlen. Eine schnelle Abkühlung, beispielsweise auf einer dem Weltall ausgesetzten Asteroiden-Oberfläche, würde die Ordnung zerstören.
Um die Widmanstätten-Struktur für den Betrachter sichtbar zu machen, ist auch die Ätzung mit Salpetersäure notwendig: Die Salpetersäure greift das nickelärmere Kamacit relativ stark an und verschont das nickelreichere Taenit, das als leicht erhabene Struktur stehen bleibt.
Als Entdecker dieser Struktur gilt 1808 der österreichische Wissenschaftler Alois von Beckh-Widmanstätten. Allerdings soll ihm 1804 der englische Chemiker William Thomson zuvorgekommen sein. Nach dem Österreicher Widmanstätten wurden außerdem ein Mondkrater und ein Asteroid benannt.
Neumannsche Linien
Etwas weniger spektakulär sind die Neumannschen Linien. Diese feinen, sich kreuzenden Linienmuster laufen über die Schnittflächen anderer Eisenmeteoriten, die Hexaedrite genannt werden. Anders als bei den Widmanstätten-Strukturen bestehen die Hexaedrite fast ausschließlich aus Kamacit. Sie befanden sich – so eine Schlussfolgerung – im Gegensatz zu den Oktaedriten nicht Jahrmillionen im Kern von Asteroiden.
Die Entstehung der Neumannschen Linien ist nicht hundertprozentig geklärt. Wahrscheinlich entstanden sie durch Schockeinwirkung, beispielsweise beim Zusammenstoß von zwei Asteroiden. Der schlagartige äußere Druck könnte das kristalline Eisen zusammengepresst haben. Derartige Veränderungen sind auf mikroskopischer Ebene sichtbar. Der Namensgeber Johann Georg Neumann erkannte dieses spezielle Linienmuster an dem 1847 gefallenen, tschechischen Braunau-Meteoriten.