Manche Storys müssen gar nicht wahr sein, um zu faszinieren. Sicher: Es ist ein bisschen schade, dass eine 2012 „entdeckte“ Buddha-Statue zwar tatsächlich aus einem Meteoriten gefertigt wurde, aber statt 1000 nur knappe 100 Jahre alt ist. Dass sie wohl keinen Buddha, sondern nur einen russischen Esoteriker abbildet. Und dass sie nicht von den Nazis, sondern von einem dubiosen russischen Händler nach Deutschland gebracht wurde. Das alles ist schade, aber auch verwirrend und ein Lehrstück über Irrungen und Wirrungen der Wissenschaft.
Die ursprüngliche Geschichte: Nazi-Buddha aus Tibet
Alles begann, als der deutsche Geowissenschaftler Elmar Buchner 2012 eine Studie veröffentlichte – also ein Schriftstück, das laienhafte Leser normalerweise kaum von den Stühlen reißt. Aber diese Studie berichtete forsch über einen „Buddha from space“. Man habe, so hieß es, eine Buddha-Statue gefunden, die aus dem 1913 entdeckten Chinga-Meteoriten geformt sei. Somit sei dies die erste und einzige Menschendarstellung aus Meteoritenmaterial. Mehr noch: Die Studie schlägt einen Bogen zu einer legendären Tibet-Expedition aus den Jahren 1938-39. Damals war der deutsche Ethnologe und Zoologe Ernst Schäfer am Fuße des Himalaya unterwegs. Sein Auftrag: Schäfer sollte für die Nazi-Organisation „Ahnenerbe“ den spekulativen Nachfahren der Arier nachspüren. Auf dieser Mission habe er die mehr als 10 Kilo schwere Buddha-Statue gefunden und nach Deutschland gebracht haben. „Nazi-Buddha!“ schlussfolgerten deutsche Medien und witterten eine Sensation.
All jene Schlussfolgerungen hatten – das muss fairerweise gesagt werden – ihren Ausgangspunkt bei einem Wiener Geologen und lagen womöglich auf der Hand. Vor allem das „Swastika“ genannte Glückssymbol auf der Brust der Statue schuf eine gedankliche Verbindung zu den Nazis, denn die Swastika ist Vorbild für das deutsche Hakenkreuz. Und doch trog der Schein. Bald nach dem spektakulären Fund disputierten Kunstexperten über die mögliche zeitliche und geografische Herkunft des Schatzes. Tibet oder Mongolei? Der Buddha schien nirgendwo so richtig hinzugehören. Manche Experten munkelten gar, die Figur sei wesentlich jünger und von zweifelhaftem künstlerischen Wert. Sie sollten (leider) Recht behalten.
Die wahre Geschichte: Selbstbildnis aus Shambhala
Bei der deutschen Historikerin Isrun Engelhardt müssen wir uns darüber beschweren, dass diese schöne Geschichte als falsch entlarvt wurde. Obwohl Engelhardts neue Version ebenfalls ziemlich spannend ist: Der Chinga-Meteorit gehörte einst dem Russen Nicholas Roerich, einer schillernden Persönlichkeit mit Hang zu Okkultem und Esoterik, Gründer der heute noch aktiven Agni-Yoga-Vereinigung. Roerich reiste auf der Suche nach Inspiration, Wahrheit und dem mythischen Reich Shambhala in den 1920er-Jahren durch Tibet und andere Teile Asiens. Den Chinga-Meteoriten hatte er 1923 gekauft und nahm ihn aus spirituellen Gründen auf seine Reise mit.
In der Mongolei ließ Roerich aus dem Meteoriten die heute bekannte Figur schnitzen. Diese Männerfigur, die nicht so recht zur tibetanischen Kunstgeschichte passen wollte, zeigt aber keinen Buddha – sondern vermutlich Roerich selbst. In diesem Punkt ist die historische Wahrheit erstaunlich profan und egozentrisch: kein tibetischer Künstler des 11. Jahrhunderts, sondern ein zeitgenössischer Handwerker, kein heiliger Buddha, sondern ein exzentrischer Russe.
War ist das wert?
Zu verdanken haben wir diese kleine Posse vor allem einem gewieften russischen Händler, der nicht nur den „Nazi-Buddha“ verkaufte, sondern die wertsteigernde Story gleich mit. 20.000 Euro soll der Wiener Geologe – so schreibt Spiegel Online – für die Figur bezahlt haben. Aber war das eigentlich zu viel? Schon alleine der Materialwert eines Chinga-Meteoriten dieser Größe könnte einen niedrigen fünfstelligen Eurobetrag erreichen (falls es überhaupt gelingen sollte, ein solch schweres Stück aufzutreiben). Und die Geschichte zu dem guten Stück ist weiterhin nicht zu verachten.